5. JOSEFSTÄDTER NEUJAHRSKONZERT
6. Jänner 2004
THEATER IN DER JOSEFSTADT
~ TEXTE zum PROGRAMM ~

Über die musikalischen Rassen
Humoreske von R. Kietschke
("Neue Musikzeitung", 1882)

Das Heer der Musikanten ist über den ganzen Erdkreis verbreitet, kaum gibt es noch einige unentdeckte Inseln des Nord- und Südpols oder ein halbes Dutzend öder Felsenriffe und wüster Eilande, wo sie wegen Mangels an Publikum ungern vegetieren. Ebensowenig sind sie im Wasser anzutreffen, wohl aus angeborener Antipathie gegen dieses Element; das Lustige zieht sie schon mehr an, das Feurige lieben sie alle - in gewissen Formen sogar entschieden, z.B. im Burgunder, Glühwein, Punsch….
Das Musikantenreich zerfällt in sieben Rassen mit ihren verschiedenen Gattungen und Unterabtheilungen, und bietet die eigenthümliche Erscheinung, dass die Gattung Männchen bei Weitem größer ist als die der Weibchen, weshalb Letztere auch sehr gesucht und geliebt werden.

Die Namen der Rassen sind:

1. Komponierer,
2. Dirigierer,
3. Klavierer,
4. Streicher,
5. Holzbläser,
6. Blechbläser und
7. Schläger.

Rasse 1 - Komponierer:

Etwas ungeordnetes, wildes Exterieur; romantisch-phantastischer Blick; Schläfe etwas erhaben, - nach Balls untrüglicher Schädellehre hervorragenden Musiksinn andeutend. Finger mit Tinte beschmutzt; Ringe und Busennadeln, unvermeidliche Folgen von Dedikationen.
Er sieht etwas abgemagert aus, natürlich Folgen tiefdurchdachter, gedankenschwerer Kontrapunkt stoßender Kompositionen, die sehr angreifen, aber nichts einbringen.
Die Rasse hält sich meistens in Dachstuben auf, verursacht vielen Öl- und Zigarrenqualm, liebt den Wein, der aber selten in ihrer unmittelbaren Nähe zu finden ist. Man trinkt deshalb Wasser.

Charakter und Temperament: cholerisch-sanguinisch
Kasten: leer
Aussichten: in Deutschland hoffnungslos
Herz: sehr, sehr groß und leicht erregbar
Ideal: hoch und absehbar
Lebensdauer: unerwünscht lange, für keine Neider zu kurz
Vermögen: ungedruckte Manuskripte, liniiertes Notenpapier und alle 24 Tonarten.

Rasse 2 - Dirigierer:

Zeichnet sich durch etwas hochgetragene Nase aus; eiserne Miene und meist auf den Hinterbeinen stehend, da er stets Kapricen und den Einmischungen des Sängerpersonals entgegen zu arbeiten hat. Haltung: gerade, Vatermörder. Frau und zwei Wunder-Kinder.
Hält sich fast die ganze Lebensdauer über in Proben und Concertsälen, sowie im Orchester auf, hat allemal eine Oper componirt, die unverstanden bleibt, weßhalb er auch dem Publikum den Rücken zukehrt.
Etwas grob, entschieden ,monarchisch, spielt nicht gut Klavier. Genialschrullig, familienväterliches Temperament. Allegro moderato.

Rasse 3 - Klavierer:

Diese Rasse ist wuchernd, wie Unkraut und Schlingpflanzen. Die gütige Natur scheint ihnen eine natürliche Uniform verliehen zu haben: alle tragen glattes, langes Haar, dessen Zipfel modernerweise nach vorne hängen, um während der Pause hinters Ohr gestrichen zu werden.. Finger sehr lang, Fußspitzen aufwärts gebogen vom unablässigen Pedaltreten.

Leben: in Salons, Frack und Glacé-Handschuh, Thee stark mit Rum,
Charakter: Du lieber Gott!
Lieblingstonart: Des-Dur.

Rasse 4 - Streicher:

Im allgemeinen ist diese Rasse etwas zurückhaltender, wie die vorige (die Klavierer), da ihre Majorität meistens im Orchester beschäftigt ist, weshalb sie auch weit praktischer denken. An der linken Hand der Geigenstreicher sind die Nägel abgekaut; helle Westen mit offenem Schnitt, heruntergeklappte Vatermörder. In ihrer linken Rocktasche ist häufig ein brillantes seidenes Taschentuch zu finden, um Finger und Saiten zu putzen und abzutrocknen.

Die Geigenstreicher sind meist fein im Umgangston, haben etwas Bescheidenes aber auch Bestimmtes in ihrem Wesen. Selten korpulent.

Die Bratschenstreicher sind Sonderlinge, etwas kritisch und mehr schweigsam als gesprächig. Die seidenen Taschentücher hören hier schon wieder auf, weil Solovorträge nicht vorkommen und im Orchester tun's bunte baumwollene auch. Sie nähren zu den Fagottbläsern eine geheime, innige aber unausgesprochene Sympathie.

Die Violoncellisten haben Empfindung, Elegie, Noblesse, Ruhe. Um den geschlossen gehaltenen Mund zeigt sich beim Solospielen ein gewisser edler Zug; ihr Bart ist glatt und sauber gehalten. Überhaupt hat das Cello Einfluß auf seinen Mann. Die Cellisten fassen meist subjektiv auf, sind bescheiden und selbstbewusst. Dunkle Weste und saubere Manschetten.

Die Kontrabaß-Streicher sind meistenteils groß, muskulös, säulenhaft, statuenartig gewachsen. Ihre Fäuste sind erschrecklich schlicht, aber dauerhaft. Kleidung u.a.: Rock, Stiefel und Handschuh. Sie sind charakterfest und geradezu eifersüchtig auf Tubas, sie streichen nicht viel, aber langsam, fest und derb. Sie schnupfen stark und zwar mit dem Cellisten aus einer Dose. Ihr Händedruck ist eine Erinnerung aus der letzten Szene des Don Giovanni, dem Komtur entlehnt. Sie fühlen sich als Stütze des Orchesters, reden aber nicht darüber, jedoch sagen sie dem Dirigenten unumwunden eine Grobheit, weil sie wohl wissen, er muß sie zu Freunden haben.

Die ganze Reihe der Streicher trägt in der rechten Tasche ein Stück Kolophonium.

Rasse 5 - Holzbläser:

Dieselben sind meistens Individuen von vorherrschender Genialität, verstockte Schwärmerei und Gefühl atmen sie alle.

Der erste Flötenbläser ist etwas sentimental; der zweite als Piccoler etwas vorwitzig. Beide lieben Backwerk, und Likör, sind land- und lebenslustig, haben zu Hause einen Sonntagsfrack im Schrank hängen und sind von Charakter. Hier fangen schon wieder die seidenen Taschentücher zu kokettieren an.

Die Oboebläser sind schmalwangig, dünnlippig, kurzhaarig, schmächtig und blass; haben Anlagen zu Intrigen, sind launisch, penibel, zartfühlend und peinlich eingenommen für ihr Instrument, fühlen sich etwas verkannt, leben solid und trinken im Stillen.

Die Klarinettisten sind prätentiöser, treten selbstbewusster auf, sehen wohl aus und haben sehr feine Lippen und viel Anlage zur Zärtlichkeit. Sie lieben die Melodie, sind warmblütig im höchsten Grade und haben eine zurückgehaltene Leidenschaft, mit der sie aber weiter kein Unheil anrichten.

Die Fagottbläser sind im Grunde gutmütig, äußerlich scheinbar lichtscheu und eingezogen, aber originell und wunderlich, humoristisch unter Bekannten. Bei herannahendem Alter auffallend gräulich. Ihr Fagott ist ihre Braut, sie freuen sich schon bei der Ouverture auf den 5. Akt, in welchem sie einen Takt Solo zu blasen haben. Mäßig in der Lebensweise, sind sie gute Gatten und Väter; etwas "Louis-Philipp-artiges" in ihrer Erscheinung. Keinen seidenen Taschentücher mehr.

Rasse 6 - Blechbläser:

Sie sind untersetzter Statur, ziemlich kräftig gebaut, ohne geistige Schönheit, mehr fleischig als knochig, haben alle einen Hang zum Sich-gehen-lassen. Sie trinken viel Bier, schieben Kegel, rauchen und schnupfen sehr stark.

Die Hornisten sind noch am tieffühlendsten, schwärmen für das Naturhorn, blasen jedoch lieber auf dem Ventilhorn, schimpfen durchgängig auf die neuen Komponisten, weil sie die Hörner so schwierig setzen, haben beim Solo regelmäßig keinen Ansatz, schütteln dann beim Misslingen selbst kritisierend mit dem Kopfe und drücken gleich den anderen Blasrassen beim Blasen die Augen zusammen.

Die Trompeter haben etwas keckes, Unternehmendes, sindhitziger und lieben mit Hingebung die offenen Töne, in Sonderheit das zweigestrichene C.

Die Posaunisten sind etwas rücksichtslos, sitzen gern frei, kokettieren in Wagner'schen und Meyerbeer'schen Opern mit der Vielseitigkeit ihres Instruments. Beim Blasen sehen sie gewaltig böse aus, beim Absetzen zeigen sie sich auffallend gelassen. Sie duzen sich mit den Paukern und Trompetern, lieben einen starken Bittern, prahlen gelegentlich etwas, haben weniger Empfindung als Tatkraft.

Rasse 7 - Schläger:

Diese Rasse sieht am nichtssagendsten aus, den Paukenschläger ausgenommen.

Der türkische Trommler und Beckenschläger ist von orientalisch-chinesischer Lebensanschauung, liebt Donizetti, der ihn namentlich unentbehrlich machte und ihn vielseitig in Wiegenliedern und Schlachtenmusiken zu verwenden wusste.

Der Paukenschläger besitzt oft einen gut gepflegten Schnurrbart und große Intelligenz, und liebt es, wenn man ihm beim Pauken zusieht. Meyerbeer und Berlioz schätzt er wegen ihrer Pauken-Ideen, und seine Felle liebt er wie Kinder. Die vielen Umstimmungen sind ein geheimer Gram für alle Pauker. Die Pauker sind vielleicht die mit dem größten Unrecht verkannten Musiker;
Es gibt wenig Klavierer, die mit so viel Seele pauken, wie die Pauker!

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